Vom Schmelzen der Schnecke
"Der Koch" wurde übrigens auch verfilmt - wann erfindet jemand endlich Geruchs- und Geschmacksfernsehen?
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Maravan ist ein Flüchtling. Wie etliche zehntausend Landsleute hat er seine Heimat Sri Lanka verlassen müssen, um tamilischen Milizen zu entkommen. Nun lebt er in Zürich. Dort arbeitet Maravan als Küchenhilfe in einem Nobelrestaurant. Doch schnell wird klar: Er hat Talent und ist zu mehr berufen als zum Handlanger. Tatsächlich wird aus ihm "Der Koch", ein besonderer sogar. Martin Suter würzt Maravans Geschichte nicht nur mit erotischen und politischen Verwicklungen, sondern auch mit Rezepten: eine eindeutige Einladung zum Buch-Koch-Bloggen!
Kochen wie im Chemielabor - ist das geeignet für den Hausgebrauch? In dem Restaurant, in dem Maravan arbeitet, geht es zu wie in einem Chemielabor - gekocht wird mit Rotationsverdampfer und Siphon, Stickstoff und Pipetten. Auf der Karte stehen Menüs wie mariniertes Makrelen-Filet auf Fenchel-Herz-Bett mit Bärlauch-Sabayon oder pochierter Lachs mit Limonen-Creme - alles bis auf die Quintessenz des Geschmacks verdichtet und in winzigen Portiönchen angerichtet. Das ist molekulares Kochen. Sich am heimischen Herd da heranzuwagen - geht das? Liest sich das alles im Roman einfach nur schmackhaft oder beschreibt der Autor echte (und für den Hausgebrauch umsetzbare) Gaumengenüsse? Das will ich in diesem Küchenwagnis herausfinden. Meine Freundin Julia ist, als ich ihr davon erzähle, Feuer und Flamme und macht mit. Maravans Rezepte - Gerichte mit gewissem Mehrwert Zusammen studieren Julia und ich Maravans Rezepte. Allein dabei läuft uns fast schon das Wasser im Munde zusammen:
Das sind nur vier von 18 köstlich klingenden Gerichten aus dem "Koch", die allesamt zum Nachmachen anregen. Á propos anregen: Angeblich animieren die Menüs noch zu ganz anderen Dingen. Die kleinen Köstlichkeiten, die Maravan in einer Food-Fusion aus molekularen und traditionellen Speisen seiner Heimat Sri Lanka zubereitet, sind extrem verführerisch - und stimulieren die Libido. Das wird zu Maravans Erfolgsrezept: Er kocht Love Menus, die wie lukullisches Viagra wirken - zumindest bei den Romanfiguren. Erotic Food - ein "leidenschaftliches" Futter? Auch wenn es enttäuschen mag: Julia und ich haben das Erotic Food nicht auf seinen aphrodisierenden Effekt hin getestet, lediglich auf Praktikabilität und Geschmack, also den Lecker-, nicht den Lust-Faktor. Für die volle, euphorisierende "Dröhnung" müsste man ohnehin wohl das komplette Zehn-Gänge-Love-Menu genießen, damit es seine volle Wirkung entfalten kann. So ist es zumindest im Buch beschrieben. Maravan kredenzt die Köstlichkeiten - eine ausgeklügelte Mischung aus Kaltem und Warmem, Weichem und Hartem, Süßem und Pikantem - zunächst seiner Kollegin, einer spröden, etwas kratzbürstigen Schönheit. Mit beeindruckenden Folgen: Als Maravan Andrea ein Amuse-Gueule nach dem anderen serviert, taut sie nach und nach auf: Sie schwelgt und schlemmt, lacht und scherzt. Und ist schließlich so angeturnt, dass sie den Koch zum Dessert vernascht. Davon ist sie selbst am meisten überrascht: Sie ist nämlich lesbisch. Vom One-Night-Stand zur Geschäftsidee Deswegen bleibt es auch bei dem One-Night-Stand. Andrea ist allerdings so beeindruckt, dass sie sich das Geheimnis erklären lässt: Maravan hat das Kochen von seiner Großmutter gelernt. Die hat ihn in alle Geheimnisse der ayurvedischen Küche eingeweiht - auch in die Kunst, Essen zuzubereiten, das Lust macht. Für sein Love Menu hat er auf Zutaten zurückgegriffen, die der achten Sparte - den Aphrodisiaka - zugeordnet sind und daraus ein stimulierendes Mahl bereitet. Das inspiriert Andrea zu einer Geschäftsidee: Maravan kocht das Love Food, sie serviert es stilvoll und diskret - und die Kunden dieses speziellen Catering-Services sind angesichts der lustbringenden Nebenwirkung begeistert. Das Geschäft floriert binnen Kurzem. Der Kundenkreis gehört zum Teil allerdings der Halbwelt an. Maravan macht trotz einiger Bedenken dabei hauptsächlich deshalb mit, weil er das Geld braucht - für die Herz-OP seiner Oma und für den Traum vom eigenen Restaurant. Als er jedoch einen Waffenhändler bekochen soll, der Gewehre an die Tamil Tigers liefert, wird aus dem Love ein Lethal Food... Drei aus Zehn - das abgespeckte Menü Das ganze Menü ist Julia und mir "too much". Wir haben uns deshalb für eine überschaubare Stichprobe entschieden und uns drei der zehn Rezepte rausgepickt:
Das Küchenabenteuer beginnt in diesem Fall schon beim Besorgen der Zutaten. Fast alles ist leicht zu bekommen: Koriander, Kurkuma und Kreuzkümmel sind es jedenfalls nicht, die Schwierigkeiten bereiten. Auch Bockshornkleesamen, Ghee, Tamarindenpaste, Sojalezithin und Xanthan nicht - es gibt sie schließlich im Bioladen. Logistische Probleme bereitet allein die Lakritzpaste. Weder das Reformhaus noch der Asia-Laden um die Ecke führen die Süßholz-Soße. Nach einigem Umhergeirre ist der große Asia-Food-Supermarkt am anderen Ende der Stadt, der angeblich alles hat, meine letzte Hoffnung. Die Verkäufer zeigen sich jedoch ziemlich rat- und ahnungslos. Fast glaube ich, der Extrakt aus der Süßholzwurzel existiere gar nicht. Im Internet werde ich jedoch fündig, leider aber zu spät, um sie dort noch zu bestellen. Bis zum Kochdate mit Julia hätte die Lieferung nicht geklappt. Lakritzpaste - zum Dahinschmelzen? Ich will die Eislutscher aber nicht verloren geben. Schließlich bin ich erklärter Fan exotischer Eis-Sorten. Also konsultiere ich Google, was zu tun sei. In einem Forum finde ich den Tipp, die Paste selbst herzustellen. Aus ganz gewöhnlichen Lakritzschnecken, wie sie jeder Späti in meinem Kiez im Sortiment hat. "Einfach" im Topf schmelzen, schreibt der User. Tja - was man so unter einfach versteht: Es dauert ewig bis die Schnecken überhaupt nur etwas weicher werden. Und irgendwie ist das ganze eine ziemliche Sauerei. Der Topf hat es überlebt - das hätte ich nicht vermutet, denn er sah verheerend aus, das könnt ihr mir glauben. Auch wenn es mit Geduld und unter steter Zugabe von kleineren Mengen Wassers irgendwie hinhaut: Das Schmelzen der Schnecken kann ich KEINESFALLS empfehlen. Nächstes Mal probiere ich es lieber mal mit Lakritzstangen aus der Apotheke und diesem Rezept. Denn lecker sind sie, die Eislutscher, wenn auch durch das Ghee - geläuterte Butter - ziemlich mächtig. Weder Julia noch ich haben zum Dessert einen ganzen Lolli geschafft. Allerdings hatten wir auch schon zwei Gänge sri-lankisch-schweizerischer Spezialitäten aus dem Liebes-Menü intus. Wie aus Teigmurmeln köstliche Minifladen werden Unsere Vorspeise, die Minichapatis, schmecken und sind denkbar einfach gemacht: Mehl, lauwarmes Wasser und einen Teelöffel Ghee zu einem Teig kneten und eine Stunde ruhen lassen. Anschließend zu Murmeln formen und zu Fladen flachdrücken. Die werden dann nur noch in die Pfanne gehauen und von beiden Seiten leicht angebräunt - fertig! So gefällt mir mir das. Etwas anders verhält es sich mit der dazugehörigen Essenz aus Zimt und Kokosöl. Zwar verspricht Suter: "In der folgenden Rezeptsammlung hat Heiko Antoniewicz sie nachkochbar und, wo es nötig schien, auch mit weniger aufwendigem Kochgerät herstellbar gemacht." (S. 293)* Denoch muss man die Essenz rotationsverdampfen. Mal ehrlich: Wer hat so einen Apparat zu Hause? Klar, meine eigene Mini-Küche ist minimalistisch ausgerüstet. Deswegen hat Julia ja auch eigens den Mörser aus ihrer WG-Küche mitbringen müssen, aber auch bei ihr gehört ein Rotationsverdampfer nicht zur Standardausstattung. Sei es drum: Die Chapatis sind auch ohne Essenz klasse. Hätten wir sie zubereitet, hätten wir - anleitungsgemäß - entweder "das Destillat aus dem oberen Kolben oder das Konzentrat aus dem unteren" (S. 294) verwendet - oder beides gemischt, wie Maravan es tut, und sie natürlich stilecht in einer Pipette serviert, die ich aber ebenfalls nicht ohne Weiteres in meinem Küchenrepertoire habe. Huhn mit reichlich Curry und Reis aus dem Backofen Während der Chapati-Teig ruht und die Eislutscher gefrieren, starten wir das Projekt Hauptgericht und machen uns an das Zubereiten des "Currys vom jungen Huhn". Koriander und Kümmel, Pfeffer und Chili kommen in den Mörser und werden fein zermahlen. Hühnchen, Zwiebeln, Bockshornklee, Kurkuma und Knoblauch (6 Zehen!) kochen in 300 Millilitern Wasser gar. Die gemahlenen Gewürze werden mit der Tamarindenpaste in weiteren 100 Millilitern Wasser aufgelöst und mit sechs bis acht Curryblättern (!) und Kokosmilch aufgekocht und kurz - zwei Minuten - geköchelt. Ein Aha-Erlebnis ist für mich übrigens die etwas andere Art, den Reis zu garen: Im Topf anrösten und mit Wasser auffüllen - und dann einfach ab in den Ofen : Bei 160 Grad braucht er etwa 20 Minuten, bis er gar ist: Gelingt immer und klebt nicht, um einen alten Werbespot zu zitieren. FAZIT Das schweizerisch-sri-lankische Love Food schmeckt klasse. So ganz kompatibel für den Hausgebrauch ist das Fusion-Food allerdings nicht - jedenfalls nicht uneingeschränkt. Den Life-/Kitchen-Hack, den Reis im Backofen zu garen, behalte ich auf jeden Fall bei! *Martin Suter hat Rezepte aus dem Kochbuch "Verwegen kochen: Molekulare Techniken und Texturen" von Heiko Antoniewicz als Vorlage für die Gerichte in seinem Roman "Der Koch" benutzt. |